"Handy-Verbot" an Hessens Schulen?!

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit digitalen Endgeräten beschäftigt sicherlich alle aktiven Kolleg*innen auf die eine oder andere Weise. Der Gesetzentwurf zum "Handy-Verbot", den die Landesregierung im März auf den parlamentarischen Weg gebracht hat, wird derzeit viel diskutiert, ob er in der täglichen Konfliktlage an den Schulen tatsächlich hilfreich und zielführend ist.

Eine Pressemitteilung des GEW-Landesverbands ist [>>hier] verlinkt. Welche gern tiefer in die Diskussion einsteigen möchte, findet im Kommentar der Kreisverbände der GEW Alsfeld, Gießen und Lauterbach, verfasst von Christian Steinbach, wertvolle Anregungen. Besonders möchten wir auf die zahlreichen dort verlinkten Studien hinweisen, die sicher helfen können, Diskussionen vor Ort mit fundierten Argumenten zu untermauern.

 

Kreisverbände der GEW Gießen, Alsfeld und Lauterbach zum „Handyverbot“ an Hessens Schulen

Licht und Schatten – oder doch eher „fifty shades of grey“?

Die technische Entwicklung digitaler Endgeräte mit ihren Möglichkeiten schreitet in einer enormen Geschwindigkeit voran. Das Smartphone ist universales Bürogerät, Arbeitsmittel, Statussymbol, Freizeitbeschäftigung, täglicher Begleiter, Kontaktvermittler und auch Suchtmittel – auch in Abhängigkeit zu der vorhandenen Software. Schon die Alltagsbeobachtung belegt, dass damit eine gesellschaftliche Veränderung raumgreift. Es sind vor dem Hintergrund jüngster politischer Entwicklungen die Fragen gestellt: Wer bekommt, was zu sehen? Wer verfügt über meine Daten? Was ist real, was ist „fake“? Wie will ich erreichbar sein? Dabei gibt es eine Bandbreite menschlicher Reaktionen von „Digital Detox“, über sinnvolle Nutzung, bis hin zur Abhängigkeit - ein fließender Übergang. Dieser wird sehr unterschiedlich interpretiert, damit müssen sich die Älteren genauso auseinandersetzen wie auch die junge Generation.

Die Diskussion über den Umgang mit Smartphones in Schulen ist daher überfällig, und den aktuellen Vorschlag [10] eines gesetzlichen „Handyverbotes“ begrüßen die Kreisverbände Gießen, Alsfeld und Lauterbach der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft grundsätzlich. Es ist auch zu begrüßen, dass dieses Verbot eines nicht ist: Ein kategorisches „Nein“. Den Schulen soll altersabhängig eine eigene Regelung von Schutzzonen ermöglicht werden, alles mit dem Impetus eine private Nutzung einzuschränken. Leider ist dies alles andere als leicht, das Gerät unterscheidet eben nicht zwischen z.B. einem Stundenplan oder einem Sozialen Netzwerk und für was es eingesetzt wird.

Problematik

Die Kreisverbände Gießen, Alsfeld und Lauterbach der GEW halten die Diskussion um ein Handyverbot an hessischen Schulen auch deshalb für positiv, da sie zeigt, dass mittlerweile das Bewusstsein für ein bestehendes Problem gereift ist.

Die vom Ministerium genannten Gefährdungen durch die Nutzung von Mobiltelefonen sind nachvollziehbar und durch zahlreiche Studien, etwa der OECD, der WHO [1] und anderer [2] belegt. Diese Erkenntnisse entsprechen der empirischen Beobachtung vieler Lehrkräfte bereits seit Jahren, von nachlassender Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Der gesellschaftliche Rückhalt für ein solches Verbot ist hoch [3], viele Elternhäuser zeigen sich überfordert [4] und auch viele SchülerInnen [5] wünschen sich, dass digitale Medien nur in klar definierten Unterrichtseinheiten zum Einsatz kommen. Dennoch wird vielfach anstelle eines Verbots die Forderung erhoben, doch lieber die Chancen der „neuen“ Medien zu nutzen und sie in Bildungsinhalte zu überführen [6]. Der Erwerb von Medienkompetenz ist sicher unverzichtbar, hier sollen aber die Schulen – oft der einzelne Lehrer – die Verantwortung übernehmen. Lehrkräfte sind gehalten entsprechende umfassende Fortbildungen - on top, also neben dem Beruf - zu stemmen.

Um es klar zu umreißen: Das Smartphone kann und wird bereits häufig für Lern-Apps, Mediengestaltung, Recherchen, Stunden- und Raumpläne oder die schulinterne Kommunikation im Unterricht genutzt. Dies baut aber auch ungewollten Druck auf, frühzeitig ein solches Gerät zu beschaffen – ein Umstand, den nicht alle Eltern, aus durchaus nachvollziehbaren Gründen, wünschen. Dazu hängt der Besitz eines digitalen Endgerätes auch von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab, so dass für Einzelne schon mal unangenehme Situationen mit MitschülerInnen entstehen.

Zudem sind Phänomene wie „Happy Slapping“ [7], Mobbing oder Grooming in sozialen Netzwerken oder auch die exzessive Nutzung [8] von Handys weit verbreitet – wenn auch vielleicht nicht in allen Schulen oder Schulformen gleichermaßen. Schon auf dem Weg zur Schule, etwa während der morgendlichen Busfahrt, lenken SchülerInnen sich häufig mit ihren Smartphones vom Geschehen ab. Eine soziale Kontrolle, etwa durch Eltern oder Lehrkräfte, ist dabei kaum möglich – und Lehrkräften auch nicht erlaubt. Das Smartphone wird zunehmend zum Träger süchtig machender Inhalte, mit denen Tech-Firmen große Profite erzielen und mit denen Kinder allzu oft und zu lange alleingelassen werden.

Ein weiteres Problem stellt die zunehmende Verfügbarkeit von KI-Tools dar. Viele Lehrkräfte – von der Grundschule bis hin zur Universität – berichten, dass es kein Randphänomen mehr ist, wenn bei Hausarbeiten, Klassenarbeiten oder Prüfungen KI-Lösungen als eigenständige Arbeit ausgegeben werden. Auch die Nutzung von versteckten Kopfhörern, Smartwatches oder -brillen ist keine Seltenheit – oder notfalls dann dem „Zweithandy“. Ein Nachweis für missbräuchliche Smartphone-Nutzung ist oft kaum zu erbringen, da die Durchsuchung von Geräten nur durch polizeiliche Maßnahmen erfolgen darf.

Diese Umstände verdeutlichen das Spannungsfeld, in dem die Kollegien in den Bildungseinrichtungen tagtäglich arbeiten. Die Diskussion über den Umgang mit Handys in den Schulen ist daher drängend und ebenso vielfältig [9]. Auf der einen Seite sollen Bildungsziele im Bereich der digitalen Medien erreicht werden, auf der anderen Seite laufen wir Gefahr, eine fortgeschrittene und ungesunde Entwicklung zuzulassen, die durch das Smartphone begünstigt wird. Lehrkräfte, Eltern und Kinder sind hier häufig überfordert. Leider liegt bisher keine tragfähige medienpädagogische Initiative vor, die reine Verteilung von digitalen Geräten an den Schulen untersteuert den Bedarf an wesentlicher Stelle. Das Schulen in der Sache aber als Schutzraum fungieren sollen, rechtfertigt aus unserer Sicht eine strikte Regulierung.

Kritik am bestehenden Gesetzesvorschlag

Leider ist der aktuelle Gesetzesvorschlag in der Pressemitteilung des Kultusministers vom 20.3.2025 [10] aus unserer Sicht nur wenig mehr als alter Wein in neuen Schläuchen und daher wenig wirksam. Der vorgelegte Entwurf, mit allen fünf genannten Punkten, bringt keine wesentlichen Neuerungen und trägt wenig dazu bei, die Kollegien im Umgang mit der Smartphone-Problematik zu stärken. An vielen weiterführenden Schulen ändert sich de facto nichts, da bereits bestehende Handyverbote basierend auf geltendem Recht [11] von den Lehrkräften mehr oder weniger erfolgreich umgesetzt werden. Dass Telefone eingezogen werden können, ist also kein neues Konzept. Viele Schüler, Eltern und auch Lehrkräfte benötigen konkretere Unterstützung im Umgang mit Problemen wie Mobbing, Grooming oder dem unerlaubten oder übermäßigen Gebrauch von Handys. Auch über Prüfungsformen muss wohl völlig neu nachgedacht werden. Hierzu fehlt bisher eine Lösung völlig.

Als besonders problematisch hat sich die Haftungsfrage erwiesen: Was passiert, wenn ein eingezogenes Handy beschädigt wird? Der Vorwurf, ein eingezogenes Handy beschädigt zu haben, ist schnell erhoben. Viele Sekretariate dürfen oder wollen Handys nicht verwahren. Zudem ist die Wirkung des vorübergehenden Einziehens eher gering, wenn das Handy am Ende des Unterrichts wieder zurückgegeben werden muss. Hilfreich wäre eine Rückgabe über die Eltern, bei Volljährigen bedarf es noch gesonderter Regelung. Erkennbar wird eine Problemstellung mit vielen Facetten 

- Also doch: fifty shades of grey…                                                                                                 C.Stb.

Quellen 

[1] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/who-handy-jugendliche-100.html, Bericht zum WHO Bericht ZDF
[2] https://doi.org/10.1016/j.chb.2025.108610 ,gesehen am 30.03.2025, Handynutzung und Suchtverhalten;

https://www.nature.com/articles/s41598-023-36256-4 gesehen am 30.03.2025, Einfluss selbst des ausgeschalteten Handys auf die Aufmerksamkeit;

https://www.uni-paderborn.de/nachricht/123972, gesehen am 30.03.2025 

https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/handyverbot-an-schulen-ja-oder-nein-was-sagen-die-studien/ , gesehen am 29.03.2025

[3] https://web.de/magazine/wissen/psychologie/handys-schulalltag-regelungen-wuenschen-deutschen-40801164, gesehen am 30.04.2025

[4] https://www.news4teachers.de/2025/03/eltern-haben-versagt-warum-ein-handy-verbot-in-schulen-jetzt-tatsaechlich-nottut/ , gesehen am 29.03.2025

[5] https://www.derstandard.de/story/3000000259809/drei-tage-handyverzicht-offenbaren-was-das-smartphone-mit- unserem-gehirn-anstellt, gesehen am 30.04.2025; 

https://www.medienpaed.com/article/view/500 , was wünschen sich Schüler?, gesehen am 29.03.25

[6] https://www.deutschlandfunkkultur.de/handyverbot-an-grundschulen-100.html, gesehen am 30.04.2025

[7] https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://www.jugendschutz-niedersachsen.de/wordpress/wp-content/uploads/2010/10/pornografie_gewalt_auf_handys.pdf&ved=2ahUKEwj75MWOi_OMAxVBRvEDHVozILc4ChAWegQIIxAB&usg=AOvVaw0KPLBYeAQrgloPqOvKQeU2 , Gewaltphänomene, gesehen am 30.04.2025
[8] https://www.dak.de/dak/gesundheit/psychische-gesundheit/sucht/social-media-sucht-bei-jugendlichen_85778 , gesehen am 30.03.2025
[9] https://www.news4teachers.de/2025/03/wir-handeln-jetzt-bundesland-erlaesst-handyverbot-fuer-schueler-auch-an-weiterfuehrenden-schulen/ gesehen am 30.03.2025; 

https://www.eltern.de/schulkind/handyverbot-an-schulen---es-spricht-nichts-dagegen---aber-alles-dafuer--13973442.html, gesehen am 25.04.25

https://www.lehrer-news.de/blog-posts/oecd-studie-plaedoyer-fur-den-bedachten-einsatz-von-handys-im-unterricht,  gesehen am 30.03.2025
[10] https://kultus.hessen.de/presse/hessen-handelt-smartphone-schutzzonen-an-allen-schulen, aufgerufen am 31.303.2025 

[11] https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/perma?j=SchulG_HE_!_82, gesehen am 30.03.2025

[12] https://www.campus-schulmanagement.de/magazin/smartphone-verbote-an-schulen-was-bringen-sie-wirklich-klaus-zierer, gesehen am 25.04.25